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Über Kunst und Künstlerin (von Bianca Eckle-Lövesz)
Ein bedeutender Aspekt in Vivien Ruxtons Werk ist der Dialog – und zwar im mehrfachen Sinn: als innerer Dialog mit sich selbst, als künstlerischer Dialog mit der Leinwand und schließlich als offener Dialog mit uns, den Betrachtenden. Besonders in jenen Arbeiten, in denen sich Vivi explizit mit ihrer Herkunft und ihrer Ahnenlinie auseinandersetzt wird diese Mehrstimmigkeit sichtbar. Ein Aspekt, der oft unterschätzt wird, ist die Zeit, die ein Malprozess tatsächlich braucht. Vom Grundieren der Leinwand über das langsame, geduldige Auftragen von Farbschichten bis hin zur letzten Lasur vergehen nicht selten Tage, Wochen, manchmal Monate. Währenddessen verändert sich nicht nur das Bild – auch die Künstlerin verändert sich. Gedanken, Gefühle, innere Fragen durchlaufen Prozesse. Malerei ist hier kein spontaner Impuls, sondern ein stetiges, bewusstes Sich-Einlassen. In dieser Dauer entsteht ein intimer Dialog: zwischen der Künstlerin und dem Bildträger, aber auch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Innenwelt und Ausdruck. Die Leinwand wird zu einem Spiegel – nicht im Sinne eines Abbilds, sondern eines Gegenübers. Vivien Ruxton projiziert Erinnerungen, Gedanken und Ahnungen auf die Fläche, formt und überformt sie, verwirft, verändert, antwortet sich selbst. In gewisser Weise ist jedes dieser Werke eine Denkfigur, ein visuelles Protokoll eines langen inneren Gesprächs. Und wir sind wir eingeladen, Teil dieses Dialogs zu werden. Der leere Bildträger hat längst gesprochen – jetzt sind wir gefragt. Auch wir treten vor die Leinwand und beginnen zu lesen, zu interpretieren, zu fühlen. Vielleicht erkennen wir Motive wieder. Vielleicht spüren wir Emotionen, die nicht erklärbar sind. Vielleicht irritiert uns ein Werk, vielleicht zieht es uns magisch an. Kunst wird erst durch die Betrachtenden vollendet. Und genau hier liegt die Kraft der bildenden Kunst: Sie ist offen. Sie erlaubt viele Lesarten, viele Stimmen. Sie verlangt keine Eindeutigkeit, sondern lädt zur Auseinandersetzung ein. Wir können unseren eigenen Dialog führen – mit dem Bild, mit uns selbst oder uns in die Erkundung des Gesprächs von Vivien Ruxton und der Leinwand stürzen. Denn Kunst ist mehr als ein Ergebnis. Kunst ist ein Prozess. Ein Bild entsteht nicht einfach. Es wird verhandelt. Zwischen Künstlerin und Leinwand findet ein Gespräch statt – manchmal leise, manchmal konfrontativ. Die Leinwand antwortet. Sie widerspricht. Sie verlangt Geduld. Vivien hat einmal gesagt, dass sie in ihrer Arbeit Symbiosen sichtbar machen möchte. Und genau das spürt man hier: Diese Bilder sind nicht nur gemalt – sie sind beantwortet worden. Und dann beginnt ein zweiter Dialog: der mit uns, den Betrachtenden. Auch wir sind eingeladen, hineinzuhören, hineinzutauchen. Die Bilder sagen uns nicht, was wir sehen sollen. Sie fragen zurück. Sie fordern Resonanz. Vielleicht ist es gerade das, an Vivien Ruxtons Malerei: dass sie nicht spricht, um zu belehren – sondern um eine Verbindung herzustellen. Zwischen Farbe und Gefühl, Form und Erinnerung. Zwischen Künstlerin, Werk und Welt. Wenn man sich mit Vivien Ruxtons künstlerischer Laufbahn beschäftigt, wird schnell klar: Hier malt jemand mit Haltung. Sie hat an der ABK Stuttgart studiert und dort zeitweise selbst unterrichtet. Sie begleitet als Dozentin an Kunstschulen und Seminaren seit Jahren junge Menschen auf ihrem Weg in die Kunst. Sie denkt nicht nur über Kunst nach – sie lebt sie. Und sie gibt sie weiter. Ihre Werke, ihre Lehrtätigkeit, ihre Offenheit – all das spiegelt den Glauben daran, dass Kunst ein Raum ist, in dem Menschen sich selbst und andere besser verstehen können. Vivien Ruxton ist nicht nur eine Beobachterin der Welt – sie ist Teil davon. Ihre Arbeiten sind durchdrungen von einer intensiven, ganz persönlichen Auseinandersetzung mit ihrem Umfeld, ihrer Biografie und ihren Ahnen. Diese Arbeiten sind in gewisser Weise nur ein Kapitel in einem größeren Werk, das sich durch all ihre künstlerischen Phasen zieht: die Suche nach Spuren, nach Verbindung, nach dem, was weitergetragen wird – im Körper, im Bild, im Gedächtnis. Wenn man Vivien Ruxtons künstlerischen Weg verfolgt, sieht man, dass ihre Arbeit immer auch Selbstreflexion ist – ein tiefes Nachdenken über die eigene Position in der Welt, über Herkunft, über das, was sie geprägt hat. Und trotzdem, oder gerade deswegen, schafft sie Räume, in denen auch wir uns wiederfinden können. Räume, in denen ihre Geschichte unsere Geschichte berührt, ohne sie zu vereinnahmen.


Über Korallen (von Bianca Eckle-Lövesz)
Vivien Ruxtons Serie "Corals" ist mehr als eine malerische Auseinandersetzung mit der Natur. Ihre Korallen sind Lebensmodelle. Sie stehen für Koexistenz, für das Zusammenspiel von Individuum und Kollektiv. Sie erinnern daran, dass wir verbunden sind – biologisch, emotional, geschichtlich. Eine Koralle wächst durch Ablagerungen: Was da ist, bleibt – wird Schicht für Schicht ergänzt, verformt, durchwachsen. So ähnlich entsteht Identität. Auch Vivi arbeitet so – ihre Werke speisen sich aus Erinnerung, Herkunft, Körpergeschichte. Sie hat sich schon in früheren Arbeiten mit den Spuren ihrer Ahninnen beschäftigt – und diese Serie wirkt wie eine Weiterführung dieses inneren Dialogs.
Über Korallen (von J. Johnson)
Die Serie „Corals“ von Vivien Ruth Sutah Ruxton (*1987) entfaltet eine faszinierende Balance zwischen Einheit und Individualität: Jede Koralle glänzt sowohl als integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts als auch als einzigartiges Kunstwerk. Korallen, oft im Verborgenen der Tiefsee liegend, werden durch die Malerei ins Licht und in den Vordergrund gerückt. Korallen sind keine Einzelgänger, sie bilden Kolonien, die komplexe, eng verbundene Gemeinschaften schaffen. Jede Koralle trägt, trotz ihrer geringen Größe, maßgeblich zur Stabilität und Gesundheit des gesamten Riffs bei. So hält uns die Serie einen Spiegel vor: Sie fordert uns als Gesellschaft auf, die Fragilität und Bedeutung unserer Ökosysteme zu erkennen und auf die Interdependenz unserer Gesellschaft zu übertragen. Korallen faszinieren nicht nur durch ihre filigrane Zartheit und gleichzeitig bemerkenswerte Widerstandskraft. Sie sind die Baumeister der Meere, bieten Lebensraum und Nahrung für etwa 25 % aller Meeresbewohner, was sie zu einem wichtigen Bestandteil der globalen Biodiversität macht. Korallenriffe schützen Küsten vor Erosion und Sturmschäden, indem sie Wellenenergie absorbieren. Zudem sind sie bedeutende Ressourcen in verschiedenen Bereichen wie z.B. der Medizin (Krebsforschung). Sie unterstützen die Lebensgrundlage von Millionen Menschen weltweit. Aber Korallen sind bedroht: Klimawandel, Umweltverschmutzung und menschliche Eingriffe setzen ihnen massiv zu. Ohne Korallen werden viele Meeresbewohner und schließlich auch wir Menschen erhebliche Konsequenzen tragen müssen. Es stellt sich also die tiefgreifende Frage: Während Korallen ohne uns Menschen überleben können, können wir als Menschheit ohne die einzigartigen Attribute der Korallen bestehen? Mit der Serie und dem Einsatz verschiedener Malmittel wie Öl, Tinte, Acryl und Gouache erforscht Ruxton auf beeindruckende und vielseitige Art und Weise die eingangs beschriebene Balance. Wie Tinte, die sich auf feuchtem Untergrund wolkig, frei und fast nicht begrenzbar ausbreitet, wachsen Korallen in oft unvorhersehbaren, fluiden Mustern. Diese Technik veranschaulicht die scheinbare Loslösung von festen Grenzen, die sowohl in der Kunst als auch im natürlichen Wachstum der Korallen zu beobachten ist. Acrylfarben, mit ihrer schnellen Trocknungszeit, erzeugen klare Kanten und definierte Linien. Diese scharfen Konturen erinnern an die präzisen, oft kantigen Strukturen vieler Korallenformationen. Ruxtons Vater stammt aus Australien, während ihre Mutter u.a. Wurzeln bei den Seaconke Wampanoag hat – einem indigenen tribe aus den USA. Sie lässt in der Serie Corals, wie auch in ihren anderen Arbeiten, zusätzlich Elemente ihrer eigenen, komplexen Familiengeschichte einfließen. Korallen besitzen ein genetisches Gedächtnis, das es ihnen ermöglicht, über Generationen auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren. In ähnlicher Weise bewahren und übermitteln viele indigene Gemeinschaften, über Generationen hinweg, Wissen wie beispielsweise über Landnutzung, Heilmittel oder nachhaltigen Ressourceneinsatz. Diese Parallelen, die Vivien Ruxton in ihrer künstlerischen Darstellung von Korallen gekonnt einfängt, fordern uns auf, die zerbrechliche Schönheit und die immense Bedeutung der Korallen zu würdigen, zu schützen und unsere eigene, sowie gesellschaftliche Rolle in globalen Ökosystemen zu reflektieren. J. Johnson, 2024
Über Familie (von J. Johnson)
Warum im Jahr 2025 noch malen? Diese Frage drängt sich manchen vielleicht beim Anblick der großformatigen Arbeiten von Vivien Ruth Suta Ruxton auf – gerade in einer Zeit, in der digitale Medien und konzeptionelle Strategien die Kunstwelt dominieren. Doch aus Sicht der Künstlerin – und all jener, die sich intensiver mit ihrer Herangehensweise und den Themen ihrer Arbeit beschäftigen – ist gerade die Malerei das passende Medium. Vielleicht sogar das einzig stimmige. Denn welches Ausdrucksmittel eignet sich besser, um sich mit der Geschichte jener auseinanderzusetzen, die oft als "ausgelöscht" oder "verschwunden" gelten – als ein Medium, das selbst vielfach totgesagt wurde? In dieser scheinbaren Obsoleszenz liegt eine stille Kraft, ein Widerstand, eine Form von Beharrlichkeit, die sich mit der Geschichte indigener Völker spiegelt – insbesondere jener der Wampanoag, dem Volk, dem die Künstlerin durch ihre familiäre Linie entstammt. Sind die Werke autobiografisch? Oder politisch? – Diese Fragen mögen beim Betrachten aufkommen. Doch wer Vivien Ruxton kennt, weiß: Ihre persönliche Geschichte ist untrennbar mit politischen Realitäten verwoben. Ihre Arbeiten sind eine Spurensuche – nach Herkunft, Zugehörigkeit, nach Erinnerung und Identität. Sie sind ein Dialog mit der eigenen Biografie, und zugleich mit der kollektiven Geschichte eines Volkes, das von Gewalt, Verdrängung und Missverständnissen geprägt ist. Besonders deutlich wird dies in der Arbeit Ancestors. Zu sehen sind mehrere Figuren – manche klar, greifbar, andere schemenhaft, wie aus einer anderen Zeit. Es ist ein Spiel mit Ebenen: Vergangenes trifft auf Gegenwart, Geisterhafte Präsenz auf reale Verwandtschaft. Die Geschichte wird nicht erzählt – sie wird sichtbar gemacht. Und dabei bleibt offen, wie stark ihr Einfluss heute noch wirkt. Die Künstlerin stellt keine abschließenden Antworten bereit, sondern öffnet Räume für Fragen, für Empfindung, für Erinnerung. In einem der Werke beobachten wir zwei Personen – die Mutter und die Schwester der Künstlerin –, wie sie ihrerseits beobachten, dokumentieren, erinnern. Eine doppelte Spiegelung. Es entsteht der Eindruck, Vivien Ruxton erobere mit ihren Pinselstrichen nicht nur persönliche Geschichte zurück, sondern auch ein kulturelles Symbol: eine Statue, eine Figur, eine Identität, die sie erneut mit jenen Menschen verknüpft, an die sie einst erinnern sollte. So wird Malerei in Ruxtons Arbeit nicht nur zum Werkzeug der Auseinandersetzung – sondern zu einem Raum, in dem Geschichte weiterlebt. J. Johnson, 2025
